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Aus der Sicht und mit den Worten von ...
Kim Müller, Fachanwalt für Strafrecht


Kleine Einblicke, was sich manchmal alles hinter den Kulissen so abspielt.

Hausdurchsuchung – Wie ein Ermittlungsrichter und ein Polizist eine Durchsuchung komplett versemmeln

Wenn alte Leute vermeintliche Opfer von Straftaten werden, werden diese häufig schon im Vorfeld einer Strafverhandlung zur Beweissicherung von Ermittlungsrichtern vernommen, weil alte Leute die Angewohnheit haben, noch vor der Hauptverhandlung zu versterben. Die Staatsanwaltschaft hat dann kein taugliches Beweismittel mehr.

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So einen Fall hatte ich gerade auf den Schreibtisch bekommen. Mandant kriegt ein Schreiben, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren laufe, weil er mit der Bankkarte seiner Mutter über Jahre deren Konto leergeräumt haben soll. Ebenfalls mitgeliefert: Ein Vernehmungstermin der Mutter vor dem Ermittlungsrichter. Den nehme ich natürlich für den Mandanten wahr.

1.) Das Drama vor Gericht

5 Minuten vor dem Termin melde ich mich beim Richter und bitte um Einsichtnahme in die Ermittlungsakte, die er mir auch aushändigt. Völlig normaler Vorgang. Ich muss ja wissen, worum es überhaupt geht.
Da erscheint ein Polizist und schnauzt den Richter an, dass dem Anwalt die Akte nicht gegeben werden dürfe.

Das ist mir neu. Etwas verdutzt frage ich den Polizisten, ob er mir dafür eine Fundstelle in der StPO benennen kann, und ob er die Entscheidungsgewalt über die Akte hat, oder der Richter.

Auf meine vielleicht etwas provokante Frage bittet mich seine eigentlich recht hübsche Polizisten-Kollegin mitsamt der Akte in meiner Hand recht forsch vor die Tür („Sie warten jetzt mal bitte eben draußen !“, und zieht an meinem Ellenbogen). Ich habe mich echt kurz gefragt, ob die mich jetzt verprügeln will.

Als ich wieder ins Richterzimmer komme, reißt mir der Ermittlungsrichter die Akte aus der Hand mit den Worten: „Das müssen Sie jetzt nicht lesen“. Plumper und unfreundlicher geht’s wohl nicht.

„Hallo ? Wäre es nicht sinnvoll, wenn der Anwalt den Tatvorwurf kennt, damit er dem Zeugen bei einer Vernehmung auch gezielt fragen stellen kann ?“ Anscheinend nicht.

Naja: Mama (dement, unter Betreuung, im Pflegeheim) kommt, und erzählt freimütig,

  • dass ihr Sohn das Konto geplündert habe,
  • dass im Altenheim mit Geld gehandelt werden würde (?),
  • dass ihr Sohn ein Verhältnis mit ihrer Pflegerin habe, und die Pflegerin zu ihrem Sohn gesagt habe: „Du, die schreib mal ab, die wird nicht mehr“.
  • dass eine andere Pflegerin ihr derart eine Backpfeife gegeben habe, dass ihr die Zahnprothese aus dem Mund geflogen sei (unter die Heizung),
  • und dass auch ihr wertvoller Schmuck gestohlen gewesen sei, der Täter diesen anscheinend jedoch später wieder auf ihren Schrank gestellt habe, wo sie ihn nach Monaten wiedergefunden hätte.

Und die netten Polizisten hätten sich soviel Zeit für sie genommen, da habe sie denen alles erzählt.
Aha. Sehr ergiebig.

Auch lustig: Mama fährt jede Woche mit dem Taxi zum Friseur, und alle paar Tage mit dem Taxi zum Einkaufen. Der Sohn soll aber seit Jahren das komplette Konto leergeräumt haben. Wovon hat Mama das dann bezahlt ?

2.) Nachbesprechung mit meinem Kollegen

Was mich den ganzen Rückweg beschäftigt hat, war das affige Verhalten von Ermittlungsrichter und Polizist. Warum darf ich die Akte nicht lesen, warum lässt sich der Richter von einem Polizisten anpampen wie ein dummer Schuljunge, und schämt er sich dafür vielleicht im Nachhinein dafür ?

Sowas hatte ich noch nicht, und ich muss zugeben, dass ich mir da absolut keinen Reim draus machen konnte.

Mein Kollege dagegen kam gleich auf die Lösung: „Ganz klar, in der Akte befindet sich ein Antrag entweder auf einen Haftbefehl oder auf einen Durchsuchungsbeschluss„. Haftbefehl gibt der Sachverhalt nicht her, also Durchsuchungsbeschluss.

3.) (Wie) Sag ich’s dem Mandanten ?

OK, logisch. Erster Gedanke: Dann rufe ich den Mandanten mal an, dass er seine Wohnung schön aufgeräumt halten soll, weil bald ein paar nette Polizisten vorbeikommen.
Wohlgemerkt nicht: Hey, da kommt eine Hausdurchsuchung bei Ihnen. Sehen Sie zu, dass die kein belastendes Material bei Ihnen finden.

Zweiter Gedanke: Ist dieses Verhalten überhaupt von der StPO gedeckt, oder mache ich mich ggf. selbst wegen versuchter Strafvereitelung strafbar, wenn der Mandant jetzt aufgrund meiner Mitteilung (natürlich nicht vorhandene) Beweismittel vernichtet ?

Zwickmühle, die man besser zum Wohle des Mandanten lösen sollte.

Ich habe dann mal den Mandanten angerufen, von der ungewöhnlichen Vernehmung berichtet, und mal grundsätzlich (und anlasslos) darüber aufgeklärt, wie man sich bei einer Hausdurchsuchung verhält. Nett sein zu den Polizisten, zeigen, wo alles liegt, nichts sagen und nichts unterschreiben (!!!).

4.) Telefonat mit dem Ermittlungsrichter

Irgendwie hatte mich das Verhalten des Richters geärgert. Es mag kontraproduktiv sein, aber ich kann da nicht aus meiner Haut, also habe ich ihn angerufen und gefragt:

a.) ob es ihm am Vortag nicht peinlich war, dass der Polizist ihn so vorgeführt hat
b.) ob sich der vermutete Durchsuchungsbeschluss in der Akte befunden habe, und ob er den im Nachgang auch erlassen hat.

Ihm wäre überhaupt nichts peinlich, meine Frage sei despektierlich, er kenne keinen Durchsuchungsbeschluss, und wie käme ich überhaupt auf die Idee, dass die alte Dame geistig beeinträchtigt gewesen sein könnte ?

Äh, Demenz, Betreuung, Verfolgungswahn ? Ok, war mit dem nicht zu diskutieren. Wollte ich aber auch gar nicht.

5.) Rechtsmittel gegen einen nicht-existenten Beschluss

Belügen lassen wollte ich mich aber auch nicht.

Glorreiche weitere Idee: Ein antizipiertes (vorgreifendes) Rechtsmittel gegen den (angeblich nicht existenten) Durchsuchungsbeschluss einzulegen.
Ist glaube ich gar nicht so vorgesehen von der Strafprozessordnung, aber einfach mal machen. Mal schauen, was passiert.

Der Mandant kriegt eine Abschrift. Als Anwalt muss man ja über alle Schritte informieren. Er zahlt das ja schließlich auch. Spätestens jetzt weiß er also, dass eine Hausdurchsuchung droht.

In die Begründung habe ich reingeschrieben, dass der Mandant über einen Kamin verfügt, und dass spätestens mit der Kenntnis dieses Rechtsmittels nicht mehr zu erwarten ist, dass beim Mandanten noch kompromittierende Unterlagen gefunden werden könnten.

Es ist aber gerade eine Voraussetzung für eine Durchsuchung, dass „zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde“, §102 StPO.

6.) Entscheidung des Landgerichts

Nach drei Wochen: Immer noch kein Postrücklauf. Wäre die Durchsuchung nicht beantragt, hätte ich inzwischen einen ablehnenden Bescheid erhalten müssen, weil das Rechtsmittel leergelaufen ist.

Nach drei Monaten: Mandant ruft an. „Herr Müller, die Polizei war gerade da. Ich warte seit Wochen jeden Tag vormittags zwischen 07:00 und 12:00 Uhr zuhause, dass jemand vorbeikommt. Nun kann ich wieder arbeiten gehen.“

Mitgebracht hat der Mandant dann die Entscheidung des Landgerichts: Die Durchsuchungsanordnung sei rechtmäßig. Zwar sei nicht zu erwarten, dass die gesuchten Beweismittel noch vorhanden seien, es sei aber nicht völlig ausgeschlossen, dass man weitere (unbekannte) Beweismittel finde.

Klartext: Wir suchen gezielt nach Zufallsfunden ? Das hat die StPO so eigentlich nicht vorgesehen.

Ergebnis:

Das Strafverfahren ist mittlerweile eingestellt, und zwar auch, weil der Mandant sowieso unschuldig war.
Wäre es anders gewesen, hätten der Richter und der Polizist aber die Durchsuchung komplett vergeigt.

Ergänzung:

Der Ermittlungsrichter ist später Staatsanwalt geworden, und er war der Staatsanwalt, der in meinem Artikel „Der Rapper-Richter“ durch seinen Ego-Trip die Verurteilung meines Mandanten im damaligen Berufungsverfahren erneut komplett vereitelt hat, wobei auch dieser Mandant (unabhängig von dem damals erfolgten Freispruch) natürlich ebenfalls sowieso komplett unschuldig war.

Mittlerweile hat unser Karnevalsfreund die niedersächsische Justiz leider verlassen. Schade eigentlich.
Ich hatte mit dem immer gute Ergebnisse erzielt.

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